Gewalt gegen Frauen

​ – Das Problem der Gegenwehr

  1. Einleitung
  2. Analysen und Statistiken
  3. Tatorte sexueller Gewalt
  4. Provokation der Frauen durch aufreizende Kleidung oder nonverbales Verhalten
  5. Verschiedene Formen der Gegenwehr und ihre Erfolgsaussichten
  6. Prävention
  7. Schlußbemerkungen

1. Einleitung

Viele Mädchen und Frauen aller Altersstufen waren schon einmal Angriffen und Bedrohungen ausgesetzt, diese reichen von „einfachen“ Belästigungen bis hin zu Vergewaltigungen.

Prävention: Wichtige Faktoren sind hierbei der Aufbau eines gesunden Selbstbewußtseins, Angstbewältigung, ein gewisses Sicherheitsgefühl sowie ein Stück Lebensqualität. Viele Frauen lassen sich in ihrem Lebensumfeld aufgrund des Fehlens dieser Faktoren eingrenzen. Hinzu kommt, daß auch offiziell Widerstand gegen sexuelle Übergriffe und Tätlichkeiten von der Kriminalpolizei unterstützt wird. Die früher häufig vertretene Meinung: „Gegenwehr schaukelt die Gewalt hoch“ gilt in dieser Form nicht mehr. Dies läßt sich anhand der später aufgeführten Statistiken belegen.  In den folgenden Punkten stütze ich mich auf Statistikangaben der Kriminalpolizei.

2. Analysen und Statistiken

Situationen und Beziehungen in denen es zu sexuellen Übergriffen und Gewalttätigkeiten kommt.

Klischee: Der Täter ist meistens ein Unbekannter, der eine Frau überfällt.

Bei Befragungen meinerseits in unseren Schulen ergibt sich folgendes Bild: Die meisten Frauen glauben an o. g. Klischee, daß nämlich der Anteil des großen Unbekannten ca. 70 Prozent ausmacht, Übergriffe von bekannten Personen dagegen eher nur ca. 30 Prozent ausmachen. Bei der polizeilichen Statistik ergeben sich andere Tatsachen: Mehr als 60 Prozent der Täter waren dem Opfer bekannt. Dies bedeutet, gerade dort, wo Frauen sich sicher/geborgen fühlen, also im Familien-/Bekanntenkreis, erfolgen die meisten Übergriffe. Die größte Gefahr droht somit im eigenen persönlichen Schutzraum. Wichtig hierzu ist, daß mit steigendem Verwandtschaftsverhältnis/Bekanntschaftsgrad -die Dauer, -die Intensität, -der Aggressionsgrad -und somit die Brutalität zunehmen! Gerade im Familien-/Bekanntenkreis liegt die geschätzte Dunkelziffer mindestens fünfmal so hoch wie die offiziell angezeigten Übergriffe. Legt man diese Zahlen zugrunde, sind nur 6 bis 7 Prozent der Täter völlig fremde Personen. Übrigens sind ca. 30 Prozent der Frauen Mehrfachopfer sexueller Gewalt.

3. Tatorte sexueller Gewalt

Klischee: Tatorte sind dunkle Parks, Parkhäuser, einsame Straßen etc.

In diesem Punkt wird ganz deutlich, wie sehr sich viele Frauen in ihrer Bewegungsfreiheit einschränken lassen. Befragungen meinerseits: Viele Mädchen/Frauen gehen abends im Dunkeln nicht oder nur in Begleitung aus. S- und U-Bahnen, Parkhäuser, abgelegene Seitenstraßen, Parks, schlecht beleuchtete Straßen, Tiefgaragen, Aufzüge, Telefonzellen und einsame Bushaltestellen werden gemieden. Auf jeden Fall gilt als weit verbreitete Meinung, dass in/an öffentlichen Einrichtungen/Räumen die größte Gefahr besteht. Polizeiliche Statistik: Der höchste Anteil bei Tatorten entfällt auf den absoluten sozialen Nahbereich, d. h. die Wohnung. Natürlich können auch an anderen Orten Überfälle erfolgen. Tatsächlich steht aber die Angst davor oft in keinem Verhältnis zur tatsächlichen Gefährdung. Gesamter Nahbereich 41,9 Prozent, setzt sich zusammen aus: -gemeinsame Wohnung: 10,8 Prozent, -Wohnung der Eltern/der Frau: 17,1 Prozent, -Wohnung des Täters: 12,6 Prozent, -Arbeitsplatz der Frau: 1.4 Prozent. Bereich PKW/öffentliche Verkehrsmittel: 15,3 Prozent. Tatorte im öffentlichen Raum (Parks, Straße etc.): 20,3 Prozent. Die restlichen Prozentzahlen verteilen sich auf andere Orte bzw. es gibt keine weiteren Angaben darüber.

4. Provokation der Frauen durch aufreizende Kleidung oder nonverbales Verhalten

Klischee: Frauen mit sexy Kleidung sind scharf auf Männer

Befragungen: Relativ viele Frauen waren davon überzeugt, daß sexy Kleidung mögliche Täter provoziert und daß das Fehlen einer solchen die Angriffsgefahr reduziert. Die Tatsache, dass Frauen, die im Minirock unterwegs sind, evtl. Teilschuld tragen, wurde so betrachtet.

Polizeiliche Erfahrungen: Dieses Klischee kann keinesfalls aufrecht erhalten werden. Frauen und Mädchen wurden und werden in allen Lebensbereichen und -situationen vergewaltigt; relativ unabhängig von ihrer jeweiligen Kleidung oder ihres Verhalten diesbezüglich. Potentielle Täter suchen gezielt Opfer aus, bei denen sie sicher sein können, auf keinerlei Gegenwehr zu treffen (aufgrund ihres Aussehens, Auftretens und Verhaltens). Der Täter will Macht bzw. Dominanz ausüben und wählt entsprechende Personen aus. Dies geschieht unabhängig von der Kleidung, wohl aber spielt die Ausstrahlung eines gesunden Selbstbewußtseins oder eben das Nichtvorhandensein desselben eine maßgebliche Rolle.

An dieser Stelle möchte ich die Aussage eines Polizeibeamten miteinbeziehen, der Bilder von Opfern anschauen konnte: Als Gemeinsamkeit wiesen alle Opfer eine unscheinbare Erscheinung auf. Es handelte sich um „einfache graue Mäuschen“. Frauen also, die ganz normal angezogen waren, d. h. Jeans, T-Shirt, Pullover etc. trugen, die aber einen unsicheren, gehemmten Eindruck vermittelten. Keinesfalls handelte es sich um Frauen, welche besonders zurechtgemacht wirkten oder denen Männer auf der Straße hinter herschauen würden.

5. Verschiedene Formen der Gegenwehr und ihre Erfolgsaussichten

Klischee: Frauen, die sich wehren, zieren sich bzw. durch Gegenwehr wird die Gewalt verstärkt

Befragungen: Für mich war es selbstverständlich (auch vor Einsicht in Polizeistatistiken), daß Gegenwehr in jedem Falle erfolgreicher ist als jemanden ohne Verteidigung gewähren zu lassen. Um so überraschter und betroffener wurde ich durch die Erkenntnis, dass viele Frauen sich durch dieses Klischee einschüchtern lassen, indem sie daran glauben. Anbei noch ein gravierender gesetzlicher Aspekt: Erfahrungsgemäß wird vor Gericht einem Opfer, welches sich nicht zur Wehr setzt oder es nicht zumindest versucht hat, nicht geglaubt. Dabei spielt es kaum eine Rolle, ob das Opfer aus Panik oder im Schockzustand nicht dazu in der Lage war oder einfach Angst um sein Leben hatte. Dies führt zur Freisprache des Täters, der sich verteidigen kann: Sie hat sich nicht gegenteilig geäußert oder sich zur Wehr gesetzt, also ging ich davon aus, daß sie es wollte. Persönlich ist mir ein Fall bekannt, wo die überfallene Frau während des Angriffs sowie drei Tage danach nicht sprechen; geschweige denn sich wehren konnte. Der Täter ließ erst dann von ihr ab, als sie zu hyperventilieren begann.

Polizeiliche Statistiken: Die folgenden Zahlen basieren auf einer Studie der Kriminalpolizei Hannover, bei der das Gegenwehrverhalten von geschädigten Frauen (Vergewaltigungen und sexuelle Nötigungen) untersucht wurde. Diese Studie wurde erstellt für den Zeitraum 1991 und 1992 und betrifft 289 Fälle in Hannover und 99 Fälle im Bereich Lüneburg. Weibliche Opfer unter 14 Jahren wurden nicht berücksichtigt, da sexuelle Straftaten gegen sie als Kindesmißbrauch erfaßt werden (Einzeltäter: 91,3 Prozent !). Keine Gegenwehr leisteten 28 Prozent. Dabei führte der Täter in 81,3 Prozent die Tat aus, in 18,8 Prozent wurde die Tat abgebrochen, da unbeteiligte Dritte vorbeikamen und eine Tat wurde ohne ersichtlichen Grund abgebrochen. Leichte Gegenwehr leisteten 47,6 Prozent. Leichte Gegenwehr bedeutet: Zögerlicher Einsatz eher passiver Einsatz von Stimme, Armen, Beinen, Werkzeugen oder dem gesamten Körper. Dabei führte der Täter in 31,6 Prozent die Tat durch, in 68,4 Prozent wurde die Tat aufgrund der geringfügigen Gegenwehr abgebrochen.

Massive Gegenwehr leisteten 24,5 Prozent. Massive Gegenwehr bedeutet hier energischer Einsatz der Stimme, Schlagen, Beißen, Kratzen, Treten. Hierbei handelte es sich nicht um Frauen mit Kampfkunst- oder Selbstverteidigungserfahrung!

Dabei führte der Täter in 14,3 Prozent die Tat durch, in 84,3 Prozent wurde die Tat aufgrund der massiven Gegenwehr abgebrochen, in zwei Fällen, also 1,4 Prozent, eskalierte die Tätergewalt nach Gegenwehr. In einer anderen Statistik, wo mir die Gesamtzahl der Opfer bekannt ist, nämlich 206, trat in nur einem Fall – das sind gerade einmal 0.5 Prozent – eine Gewalteskalation auf und zwar bei einer Frau, die sich in einer Wohnung massiv gegen einen ihr gut bekannten Täter zur Wehr gesetzt hatte. Es gab noch zwei Fälle, in denen die Täter noch gewalttätiger wurden, als die angegriffenen Frauen sich zur Wehr setzten. Als aber die Frauen in ihrer Gegenwehr zulegten, erreichten sie den Tatabbruch.

Fazit: Bei sexuellen Angriffen im öffentlichen Leben haben sich ca. 90 Prozent der Frauen erfolgreich zu Wehr gesetzt. Fremde Täter haben in der Regel keinen Tötungswillen. Tötungsdelikte sind überwiegend Beziehungstaten.

6. Prävention

Es ist sehr wichtig, Frauen in Bezug auf die genannten Themen zu sensibilisieren. Da das Gefährdungspotential häufig falsch eingeschätzt wird, muß mit Nachdruck deutlich gemacht werden, wo die meisten und brutalsten Vergewaltigungen begangen werden, nämlich im nahen sozialen Umfeld. Bereits hier lassen sich durch die Schulung der Wahrnehmungsfähigkeit erste Impulse geben. Gefahrensituationen können so früher erkannt werden.

Ein weiteres Problem stellen veraltete Rollenmuster dar, wie z. B.

  • Frauen schlagen nicht,
  • Frauen bleiben immer höflich,
  • Frauen passen sich an,
  • die Frau hat dem Mann zu gehorchen,
  • Frauen haben nicht allein auszugehen oder
  • Frauen haben an einer Vergewaltigung grundsätzlich eine Mitschuld.

Die alten Präventionsansätze mit Angst einflößenden und eher einschränkenden Verhaltensregeln sind kontraproduktiv, da sie keine echte Vorbeugung leisten. Es wird kein Selbstbewußtsein gefördert, sondern eine Selbstschuld erzeugt. Handlungsfreiheiten und Spielräume werden eingeengt.

Im Kung-Fu-Training wird Frauen selbstbewußteres Auftreten vermittelt, wodurch sie ihre Meinung klarer vertreten und sich bereits verbal abzugrenzen lernen. Die Hemmschwelle, sich in einer Notwehrsituation physisch entschlossen zur Wehr zu setzen, wird neu definiert. Damit wird es einer Frau ermöglicht, ihr im Grundgesetz verbürgtes Recht auf freie Selbstentfaltung und körperliche Unversehrtheit aktiv wahrzunehmen. Gerade bei Überfällen kommt es oftmals zu Panikreaktionen, welche eine überlegte Handlungsweise unmöglich machen. Normalerweise wird dadurch das Gefühl der Hilflosigkeit verstärkt. Reflexe stehen aber immer zur Verfügung und ermöglivhrn so trotz Panikgefühls einen effektiven Schutz der angegriffenen Person.

7. Schlußbemerkung

Als Ergebnis einer offiziellen Diskussion von Vertretern des LKA Nordrhein-Westfalen, ob die bisherige Grundsatzposition der kriminalpolizeilichen Beratung im Sinne passiver Verhaltensempfehlungen zu Gunsten einer Gegenwehrempfehlung aufgegeben werden sollte, lautet die einstimmige Beschlußfassung: „Die Kommission Vorbeugende Kriminalitätsbekämpfung unterstützt Präventionskonzepte die sachgerechte Aufklärung betreiben und den Widerstand der Frau gegen Gewalttätigkeit, insbesondere sexuelle Übergriffe und Ausbeutung stärken“.